Dr. Johannes B. Klartext berichtet aus dem Feld. Diesmal: Cölbe. Neben Marburg.
Neulich im Café. Nicht in Marburg – da war voll. Irgendwas mit Chorprobe und Poesie-Slam. Also Cölbe. Da, wo der Kaffee wenigstens noch bitter ist.
Mir gegenüber: eine Personalentwicklerin. Ich hatte sie eingeladen. Ich wollte es wissen. Schwarz auf weiß. Ohne Coaching-Geschwurbel.
„Wovon träumen Personalentwicklerinnen nachts?“, fragte ich. Gleich zu Beginn. Ich kann Smalltalk nicht leiden.
„Davon, dass Führungskräfte sich für Menschen interessieren.“
Ich sah kurz über den Rand meiner Tasse. Menschen? Nicht KPIs? Nicht Zielvereinbarungen? Ich dachte immer, Menschen sind das lästige Beiwerk im Unternehmen, das pünktlich Pausen macht.
Ich fragte nach. „Was heißt das konkret?“
„Zuhören. Sich wirklich kümmern. Nicht so tun, als wäre man interessiert – sondern es sein.“
Ich kritzelte auf meinen Block:
- Ohren spitzen
- Aufhören zu nicken, wenn man denkt: ‚Oh Gott, das dauert wieder‘
- Kein Meeting mehr mit „Wie geht’s euch?“ eröffnen, wenn man die Antwort eh nicht hören will
Der große Irrtum mit dem Obstkorb
Ich hielt kurz dagegen: „Wir haben doch in der Firma eine Feelgood-Beauftragte. Die bringt donnerstags Bananen!“
Sie lächelte. Freundlich. Aber irgendwie wie jemand, der schon zu oft erklären musste, dass Yoga im Pausenraum kein Ersatz für Anstand ist.
„Ein Apfel ist kein ehrliches Interesse.“
Zack. Da lag er, der Obstkorb, entlarvt als Feigenblatt. Ich fühlte mich kurz wie ein Geschäftsführer mit Alibi-Maßnahmen.
Nähe kann nicht delegiert werden
Sie erzählte von Leuten, die erst anfangen zu reden, wenn sie das Gefühl haben, sie dürfen. Von Gesprächen, in denen zum ersten Mal jemand zuhört – und die Leute dann einfach losheulen. Nicht, weil sie traurig sind. Sondern weil sie es nicht gewohnt sind, gesehen zu werden.
Ich fragte: „Wie oft passiert das?“
„Selten. Meist dann, wenn’s schon brennt. Wenn jemand kündigt oder nicht mehr aufsteht.“
Ich sagte nichts. Ich dachte an ein Gespräch mit einem Kunden. Der hatte das letzte Mitarbeitergespräch 2018 geführt. Ergebnis: „Läuft.“
Der Klartext-Zettel fürs Büro:
- Wer nur Abläufe führt, verliert die Menschen.
- Wer wissen will, wie’s den Leuten geht, muss fragen.
- Wer nachfragt, sollte auch zuhören können – ohne gleich einen Maßnahmenplan zu erstellen.
Zitat zum Mitnehmen:
„Du kannst kein Interesse vorspielen. Jedenfalls nicht länger als zehn Minuten. Danach merkt man’s.“
Kleine Frage an alle, die heute noch Chef spielen: Wem hast du in letzter Zeit zugehört – ohne zu unterbrechen, ohne Bewertung, ohne Plan?
Falls du keine Antwort hast: Fang mit dem Nachbarn an. Oder mit der Frau an der Kaffeemaschine. Wenn sie noch geht.
Dr. Klartext, Cölbe, Juni. Ohne Obstkorb.