Manchmal, wenn ich morgens meinen Espresso trinke und gedanklich schon wieder in drei Projekten gleichzeitig feststecke (Multitasking nennt man das bei Beratern, bei anderen ist es einfach Überforderung), stolpere ich über ein besonders beliebtes Management-Wort: „Wir müssen die Mitarbeitenden mitnehmen.“
Mitnehmen! Wohin denn bitte? In den Strategie-Retreat nach Bad Wildungen? Zum Change-Prozess, der schon beim Namen wie ein Magen-Darm-Virus klingt? Oder einfach nur runter in den Keller, wo die ehrliche Kommunikation seit 2012 eingeschlossen liegt?
Ich sag’s mal Klartext – natürlich:
Mitarbeitende sind keine Koffer.
Man kann sie nicht packen, rollen und bei Bedarf einfach irgendwo abstellen. Sie sind auch keine Reisenden, die sich artig in den Bus setzen, den der neue Bereichsleiter visionär in Richtung „Zukunftsfähigkeit“ steuert. Sie sind Menschen. Mit eigenem Kopf. Eigenen Ideen. Und manchmal auch mit sehr berechtigten Zweifeln.
Neulich in einem Unternehmen im Landkreis Marburg-Biedenkopf, sagen wir mal: der Irrenanstalt GmbH, sagt der Geschäftsführer zu mir beim Mittagessen (kalte Frikadelle, lauwarmer Change-Prozess):
„Wir müssen die Leute jetzt alle mitnehmen. Sonst wird das nix.“
Ich habe kurz überlegt, ob ich ihm erklären soll, dass die Leute gar nicht mitgenommen werden wollen – jedenfalls nicht im Sinne von: schweigend nicken und brav in den Change-Bus einsteigen.
Stattdessen habe ich gefragt:
„Wohin wollen Sie denn fahren?“
Er starrte mich an, als hätte ich gerade „Beteiligung“ gesagt – ein Wort, das in manchen Führungsetagen ungefähr so beliebt ist wie „Steuerprüfung“.
Dann sagte er:
„Naja… Transformation, Innovation, Zukunft halt.“
Ich seufzte innerlich. Dann laut. Dann zeichnete ich auf ein Flipchart einen Bus – und daneben 90 kleine Strichmännchen mit verschränkten Armen.
Die Wahrheit ist:
Wenn Menschen nicht wissen, wohin, warum und was das mit ihnen zu tun hat, dann steigen sie nicht ein. Oder sie setzen sich hin, verschränken die Arme – und steigen an der nächsten Gelegenheit wieder aus. Oder schlimmer:
Sie bleiben an Bord und sabotieren still das Navi.
Was hilft?
🟦 Klartext. Warum genau tun wir das?
🟨 Echtes Zuhören. Nicht: Workshop-Kaffeekränzchen. Sondern: Fragen stellen. Antworten aushalten.
🟥 Verbindlichkeit. Wer fragt, muss mitreden lassen. Und das Ergebnis ernst nehmen.
🟩 Tempo anpassen. Nicht alle joggen gleich gern Richtung Zukunft.
Fazit:
„Mitarbeitende mitnehmen“ klingt gut. Ist aber der falsche Ansatz.
Besser: Menschen gewinnen.
Für ein Ziel. Für ein Thema. Und – ganz verrückt – vielleicht sogar füreinander.
Und falls Sie doch jemanden mitnehmen wollen:
Ich empfehle den Stadtbus in Marburg. Der hat einen klaren Fahrplan. Einen Fahrer mit Haltung. Und oft genug: Sitzplätze für alle.
Ihr
Dr. Johannes B. Klartext
Mittelstandsberater aus Marburg. Kein Busfahrer.