Ein Erleb­nis­be­richt

Manch­mal kom­me ich in Unter­neh­men, da riecht es nicht nach Auf­bruch, son­dern nach auf­ge­wärm­tem Pro­jekt­plan und kal­tem Kaf­fee. So auch neu­lich in der Irren­an­stalt GmbH.

Dr. Juli­us Kai­ser, Geschäfts­füh­rer und Visio­när wider Wil­len, begrüß­te mich mit den Wor­ten: „Herr Dr. Klar­text, wir haben jetzt einen High-Speed-Auf­zug: Stock­werk Zukunft! Kön­nen Sie uns zer­ti­fi­zie­ren?“

Ich roch schon, was kom­men wür­de – und nein, es war nicht der Duft der Zukunft.

Mon­tag, 9 Uhr: Die ers­te Fahrt

Die Beleg­schaft ver­sam­mel­te sich. Die Türen des neu­en Auf­zugs öff­ne­ten sich – und schlos­sen sich nicht mehr. Statt­des­sen erschien ein Satz auf dem Dis­play:

„Nur wer nichts in den Hän­den trägt, wird beför­dert.“

Die Hän­de waren natür­lich voll: Map­pen, Ord­ner, Sicher­heits­pro­to­kol­le, To-Do-Lis­ten, alles lie­be­voll beschrif­tet mit „Wich­tig“, „Drin­gend“ und „Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht“.

Dr. Kai­ser dreh­te sich zu mir: „Herr Klar­text, das ist doch nur ein klei­ner Soft­ware­feh­ler, oder?“

Ich schüt­tel­te den Kopf: „Nein, das ist ein Sys­tem­test. Und Sie sind durch­ge­fal­len.“

Diens­tag bis Frei­tag: Die Ver­ede­lung der Last

Was dann kam, ken­ne ich aus hun­der­ten Pro­jek­ten:

  • Die Ord­ner wur­den in Ruck­sä­cke umge­füllt – jetzt hieß das „agil“.
  • Es gab Zer­ti­fi­ka­te: Cer­ti­fied Emp­ty Hands (CEH).
  • Und natür­lich eine Road­map von Dr. Ben­gel: „Bru­tal gru­se­li­ge Hand­frei-Trans­for­ma­ti­on“.

Ergeb­nis: mehr Labels, glei­che Last.

Sams­tag: Der Haus­meis­ter macht Kar­rie­re

Wäh­rend Kai­ser und Ben­gel gera­de über „Chan­ge Manage­ment in vol­ler Griff­stär­ke“ dis­ku­tier­ten, trat der Haus­meis­ter her­an.
Er stell­te sei­nen Werk­zeug­kof­fer ab, drück­te den Knopf – Wuuusch!

Weg war er. Ganz oben. Ohne Zer­ti­fi­kat. Ohne Road­map. Nur mit lee­ren Hän­den.

Kai­ser sah mich an: „Das war nicht im Kon­zept.“

Ich ant­wor­te­te: „Doch. Das war der ein­zi­ge, der die Auf­zugs­re­gel ver­stan­den hat.“

Klar­text-Merk­satz #10:

Manch­mal liegt der Fort­schritt nicht im Pla­nen, son­dern im Fal­len­las­sen.

Man muss nicht alles mit­neh­men, was man jemals für wich­tig hielt.
Man muss nur ehr­lich fra­gen: Was davon trägt uns – und was tra­gen nur wir?

Refle­xi­ons­fra­gen, die ich Dr. Kai­ser hin­ter­ließ

  • Wel­che Ord­ner in Ihrem Schrank sind eigent­lich nur Seda­tive?
  • Was müss­te pas­sie­ren, damit Ihre Leu­te frei­wil­lig die Hän­de frei machen?
  • Wel­che Last tar­nen Sie gera­de als „Stra­te­gie“?

Seit­dem wer­de ich regel­mä­ßig ein­ge­la­den, um den Auf­zug zu tes­ten. Ich gehe nicht mehr rein.
Ich neh­me die Trep­pe. Die ist lang­sa­mer – aber man kommt wenigs­tens an.

Dr. Johan­nes B. Klar­text
Mit­tel­stands­be­ra­tung aus Mar­burg-Bie­den­kopf.
Mit Herz. Mit Ver­stand. Mit Klar­text.