Ein Werkstattbesuch, fünf Wahrheiten – und ein stiller Schraubenschlüssel
Ich war letzte Woche in Lohra, bei einem Metallbauer.
25 Leute, ein Hund im Hof, drei Kalender an der Wand – alle mit leicht bekleideten Damen. Einer davon noch auf 2022.
Der Chef hatte angerufen, weil „die Stimmung nicht mehr stimmt“ – und weil die besten Leute schon weg sind oder gerade Bewerbung schreiben.
„Ich glaub, ich hab den Laden nicht mehr im Griff“, sagte er, als ich reinkam.
Ich sagte nichts.
Denn das ist der erste Moment, in dem ich weiß: Hier kann’s was werden.
Nicht weil einer resigniert – sondern weil endlich einer ehrlich ist.
Ich hab in 20 Jahren Beratung mehr Führungskräfte gesehen als Thermostate in mittelständischen Besprechungsräumen.
Und mit der Zeit merkt man:
Die wirklich wichtigen Führungslektionen stehen in keinem Buch.
Und keiner redet gern drüber.
Weil sie unbequem sind.
Oder peinlich.
Oder so banal, dass man sich schämt, sie nicht früher verstanden zu haben.
Aber gut. Heute ist ein guter Tag für Wahrheiten.
Hier sind fünf davon.
Und sie klingen nicht wie Harvard. Sondern wie Gießen-Süd.
1. Führung ist weniger Strategie als Beziehung
Wenn keiner mehr miteinander redet – außer über den Flurfunk – bringt der schönste Strategieplan nichts.
Der Metallbauer hatte ein Excel-Sheet mit drei Tabs: Marktanalyse, Zielbild 2030, SWOT.
Was fehlte?
Ein Satz wie: „Ich weiß, wie’s euch grad geht.“
Also sind wir raus an die Werkbank.
Ich hab gefragt:
„Wann hat er euch zuletzt gefragt, wie’s euch geht?“
Einer grinste. Einer zuckte. Einer sagte: „Noch nie.“
2. Der beste Mitarbeiter wird nicht automatisch der beste Chef
Der neue Vorarbeiter war früher der Schnellste an der Stanze.
Jetzt ist er der Überforderte im Büro.
Warum?
Weil keiner ihm erklärt hat, dass führen nicht bedeutet: am meisten wissen. Sondern am meisten zuhören.
Führung ist kein Pokal für gute Arbeit.
Es ist ein Werkzeugkasten, den man bedienen können muss.
3. Ehrlichkeit ist nicht das Gegenteil von Freundlichkeit
„Ich will nicht so hart durchgreifen“, sagte der Chef.
Ich sagte: „Dann führen Sie halt gar nicht.“
Wer nie ehrlich ist, weil er nett sein will, schafft ein Klima, in dem keiner mehr weiß, was Sache ist.
Führung braucht Klartext.
Nicht brutal. Aber deutlich.
Wie ein Schraubenschlüssel: Der darf fest sitzen. Nur nicht mit Gewalt.
4. Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung – meistens die schlechteste
Seit drei Monaten wurde in der Firma nicht entschieden, wie es mit dem Azubi weitergeht.
Also kündigte er – mit zitternder Stimme und dem Satz:
„Ich glaub, ich bin hier nur der Lückenfüller.“
Führung heißt auch: Nicht rumeiern.
Manchmal reicht ein Satz wie: „Ich seh dich. Und ich will dich behalten.“
Fehlt oft. Kostet nichts.
5. Führung bedeutet, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen
Der Chef war müde.
„Ich kann doch nicht alles wissen.“
Muss er auch nicht.
Er muss nur zulassen, dass andere was wissen dürfen.
Wenn alles über seinen Schreibtisch muss, ist der Schreibtisch die größte Schwachstelle im Betrieb.
Klartext der Woche
„Wer führen will, muss erstmal aufhören, alles selbst machen zu wollen.“
Ich fuhr zurück nach Marburg.
Der Himmel über Fronhausen war grau.
Aber meine Gedanken waren klar.
Führung ist nicht schwer, wenn man anfängt, sich die richtigen Fragen zu stellen.
Und eine davon ist immer:
„Würde ich mir selbst folgen wollen?“