Es war ein­mal ein Mann namens Gre­gor, der sein Leben der Per­fek­ti­on wid­me­te. Er war ein Pedant durch und durch: Kein Staub­korn durf­te auf sei­nem Schreib­tisch lie­gen, kein Wort in einem Gespräch durf­te unprä­zi­se sein. Sei­ne Mit­men­schen bewun­der­ten sei­ne Dis­zi­plin, doch sie mie­den ihn oft, denn Gre­gor war uner­bitt­lich – mit sich selbst und mit ande­ren.

Als Gre­gor starb, fand er sich an einem selt­sa­men Ort wie­der. Es war ein rie­si­ger Raum, makel­los sau­ber und per­fekt sym­me­trisch. Die Wän­de waren aus polier­tem Mar­mor, der Boden glänz­te wie ein Spie­gel, und die Luft war so rein, dass sie fast ste­ril wirk­te. Zunächst war Gre­gor begeis­tert. „Das ist der Him­mel!“, dach­te er. Doch dann bemerk­te er etwas: Der Raum war leer. Kein Möbel­stück, kein Buch, kein Mensch – nur end­lo­se Per­fek­ti­on.

Gre­gor begann, durch den Raum zu wan­dern. Er such­te nach einem Aus­gang, nach Gesell­schaft oder wenigs­tens nach einer Auf­ga­be. Doch es gab nichts. Tag für Tag – oder was sich wie Tage anfühl­te – wan­der­te er durch die Lee­re. Bald begann er, Feh­ler zu suchen. Viel­leicht gab es irgend­wo eine Unre­gel­mä­ßig­keit, einen Makel? Aber der Raum blieb per­fekt.

Eines Tages erschien ein Dämon in Gestalt eines freund­li­chen alten Man­nes. „Wie gefällt dir dein neu­es Zuhau­se?“ frag­te er mit einem schel­mi­schen Lächeln.

„Es ist… per­fekt“, ant­wor­te­te Gre­gor zögernd. „Aber es ist auch… leer.“

Der Dämon nick­te wei­se. „Genau das ist dei­ne Stra­fe. Du hast dein Leben damit ver­bracht, Per­fek­ti­on zu suchen und Feh­ler zu ver­mei­den. Nun hast du sie gefun­den – in ihrer reins­ten Form.“

„Aber das ist kei­ne Stra­fe!“, pro­tes­tier­te Gre­gor. „Ich lie­be Per­fek­ti­on!“

Der Dämon lach­te lei­se. „War­te nur ab.“ Und mit die­sen Wor­ten ver­schwand er.

Die Tage ver­gin­gen, und Gre­gor begann lang­sam zu ver­zwei­feln. Die Per­fek­ti­on des Rau­mes wur­de zur Last. Es gab nichts zu ver­bes­sern, nichts zu ord­nen – kei­ne Her­aus­for­de­rung und kei­ne Abwei­chung. Er fühl­te sich wie ein Maler vor einer Lein­wand, auf der bereits das per­fek­te Bild gemalt war.

Schließ­lich begann Gre­gor zu schrei­en: „Gebt mir Unord­nung! Gebt mir Feh­ler! Gebt mir irgend­et­was!“ Doch der Raum blieb still.

Und so erkann­te Gre­gor die Iro­nie sei­ner Stra­fe: In sei­nem Stre­ben nach Per­fek­ti­on hat­te er das Cha­os des Lebens abge­lehnt – die klei­nen Unvoll­kom­men­hei­ten, die das Leben lebens­wert machen. Nun war er gefan­gen in einer Welt ohne Feh­ler, aber auch ohne Leben.

Die Dämo­nen beob­ach­te­ten ihn aus der Fer­ne und lach­ten: „Gerech­te Stra­fe – jeder schafft sich sei­ne eige­ne Höl­le.“