Es gibt einen Moment, den vie­le Füh­rungs­kräf­te frü­her oder spä­ter erle­ben: Ein Pro­jekt gerät aus den Fugen, ein Team reagiert nicht wie geplant, oder ein Markt ver­än­dert sich über Nacht. Und dann – fast auto­ma­tisch – geschieht es: Man beginnt, enger zu grei­fen. Detail­lier­ter zu prü­fen. Stär­ker zu regu­lie­ren. Die Illu­si­on ent­steht, dass mehr Kon­trol­le mehr Sicher­heit bedeu­tet.

Aber genau das Gegen­teil ist oft der Fall.

Kon­trol­le fühlt sich wie ein Schutz­schild an. Sie ver­mit­telt Ord­nung in einer chao­ti­schen Welt. Doch in Wahr­heit ist sie oft nur eine beru­hi­gen­de Geschich­te, die wir uns selbst erzäh­len – eine Geschich­te, die sel­ten Bestand hat, wenn das Leben kom­plex wird.

Die ver­füh­re­ri­sche Klar­heit des Plans

Men­schen sind nicht dafür gemacht, mit abso­lu­ter Unge­wiss­heit zu leben. Des­halb suchen wir nach Mus­tern. Wir ent­wer­fen Struk­tu­ren, Pro­zes­se, Rou­ti­nen. Wir pla­nen. Wir prio­ri­sie­ren. Das ist sinn­voll – bis zu einem Punkt. Denn je kom­ple­xer ein Sys­tem ist – sei es ein Team, ein Unter­neh­men oder das eige­ne Leben – des­to weni­ger lässt es sich line­al­ar­tig len­ken.

Eine zu star­ke Fixie­rung auf Kon­trol­le führt nicht sel­ten zu Rei­bung. Sie schafft Enge, wo eigent­lich Ver­trau­en gefragt wäre. Und sie ver­kennt, dass Men­schen kei­ne Zahn­rä­der sind. Moti­va­ti­on lässt sich nicht erzwin­gen. Krea­ti­vi­tät nicht timen. Bezie­hun­gen nicht in KPI-Zel­len pres­sen.

Der Unter­schied zwi­schen Ein­fluss und Kon­trol­le

In der Psy­cho­lo­gie spricht man von der Illu­si­on of Con­trol: Die kogni­ti­ve Nei­gung, den eige­nen Ein­fluss zu über­schät­zen. Wir wer­fen einen Wür­fel – und glau­ben, dass unse­re Tech­nik beim Wurf einen Unter­schied macht. Wir glau­ben, je mehr wir über­wa­chen, des­to bes­ser wird das Ergeb­nis.

Doch Kon­trol­le ist nicht gleich Ein­fluss.

Ein rei­fer Umgang mit Unsi­cher­heit beginnt damit, bei­des zu unter­schei­den: Ein­fluss ist das, was wir aktiv gestal­ten kön­nen – unse­re Kom­mu­ni­ka­ti­on, unse­re Ent­schei­dun­gen, unser Ver­hal­ten. Kon­trol­le hin­ge­gen ist der Wunsch, auch die Reak­ti­on der ande­ren, den Lauf der Din­ge oder sogar den Zufall zu bestim­men.

Die­ser Wunsch bleibt oft uner­füllt. Und frus­triert.

Los­las­sen als Füh­rungs­kom­pe­tenz

Los­las­sen ist kein Zei­chen von Schwä­che. Es ist ein Aus­druck von Klar­heit. Wer los­lässt, ent­schei­det sich bewusst, nicht alles kon­trol­lie­ren zu müs­sen. Das bedeu­tet nicht, gleich­gül­tig zu sein. Im Gegen­teil: Es bedeu­tet, Ver­ant­wor­tung dort zu über­neh­men, wo sie auch tat­säch­lich Sinn ergibt.

Gute Füh­rung bedeu­tet nicht, alles im Griff zu haben. Son­dern: Ver­trau­en zu för­dern, Spiel­räu­me zu schaf­fen, auf Ver­än­de­run­gen fle­xi­bel zu reagie­ren. Es geht dar­um, die Ener­gie nicht auf das Unkon­trol­lier­ba­re zu rich­ten – son­dern auf die inne­re Hal­tung gegen­über dem Unkon­trol­lier­ba­ren.

Die Weis­heit der Akzep­tanz

Wer schon ein­mal einen gelieb­ten Men­schen ver­lo­ren hat, eine Kün­di­gung erhal­ten hat oder durch eine per­sön­li­che Kri­se gegan­gen ist, kennt das Gefühl: Plötz­lich bricht die Fas­sa­de der Mach­bar­keit zusam­men. Die Ereig­nis­se ent­zie­hen sich dem Zugriff. Und inmit­ten die­ser Ohn­macht liegt ein para­do­xes Geschenk: die Ein­sicht, dass das Leben nicht plan­bar ist – aber den­noch lebens­wert.

Akzep­tanz ist kei­ne Kapi­tu­la­ti­on. Sie ist ein rea­lis­ti­scher Blick auf die Bedin­gun­gen des Lebens. Sie ermög­licht Gelas­sen­heit, wo Panik ent­ste­hen könn­te. Und sie ist der Nähr­bo­den für Resi­li­enz – jene Fähig­keit, trotz Unsi­cher­heit kraft­voll und klar zu han­deln.

Was wirk­lich in unse­rer Hand liegt

Am Ende bleibt die wich­tigs­te Kon­trol­le jene über uns selbst: über unse­re Gedan­ken, unse­re Reak­tio­nen, unse­re Fähig­keit, trotz Unge­wiss­heit wei­ter­zu­ge­hen. Wir kön­nen nicht ver­hin­dern, dass das Leben uns über­rascht. Aber wir kön­nen ent­schei­den, wie wir dar­auf ant­wor­ten.

Wer das ver­steht, gewinnt etwas Wert­vol­le­res als Kon­trol­le: inne­re Frei­heit.

Füh­rung beginnt nicht beim Steu­ern. Sie beginnt beim Ver­ste­hen.
Und manch­mal heißt das: los­zu­las­sen, um Raum für das Wirk­li­che zu schaf­fen.